Jubiläum

Grußworte der Systemischen Gesellschaft (SG)







Grußwort der Deutschen Gesellschaft für Systemische Therapie, Beratung und Familientherapie (DGSF)



Liebes Flientje-Team!


Im Namen des DGSF-Vorstandes übermittle ich Ihnen die herzlichen Glückwünsche der DGSF zum 30jährigen Bestehen. Wir freuen uns mit Ihnen über dieses Jubiläum einer Einrichtung, die seit vielen Jahren auch das Siegel als „Empfohlene Einrichtung“ der DGSF führt und damit die systemische Haltung und Arbeitsweise in die Jugendhilfe-Landschaft trägt.


Die Gründungsphase von Flientje fiel in eine Zeit großer gesellschaftlicher Umbrüche in der Bundesrepublik Deutschland. Die Vereinigung von DDR und alter BRD zum heutigen deutschen Staat bildete eine große Herausforderung und bestimmte viele gesellschaftliche Prozesse. Unabhängig davon hatte sich in den achtziger Jahren im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe die Erkenntnis durchgesetzt, dass das Jugendwohlfahrtsgesetz nicht mehr zeitgemäß war und einer grundlegenden Reform bedurfte. Dieser Prozess mündete 1990/91 in das Kinder- und Jugendhilfegesetz (KJHG), das damals einen echten Paradigmenwechsel markierte. Zentrale Begriffe waren die Abkehr vom eingriffsorientierten staatlichen Handeln und die Hinwendung zum hilfeorientierten Rechtsanspruch von Familien, Eltern und Kindern.


Dieser Paradigmenwechsel eröffnete zahlreiche neue Möglichkeiten (wie ich aus eigener Erfahrung bestätigen kann) – nicht nur angesichts der damals weitgehend neuen, im Gesetz beschriebenen Hilfeformen, sondern auch hinsichtlich des Grundverständnisses von Kinder- und Jugendhilfeeinrichtungen. Es ist vor diesem Hintergrund sicher kein Zufall, dass die Gründer*innen von Flientje die Chance gesehen und ergriffen haben, systemische Gedanken und Haltungen in das Konzept ihrer Jugendhilfeeinrichtung einzubringen. Die systemische Idee steht mit ihren Grundwerten von Respekt, Allparteilichkeit, Wertschätzung, Ressourcen- und Lösungsorientierung geradezu exemplarisch für den paradigmatischen Wechsel. Beispielhaft seien hier aus dem Flientje-Konzept die Gedanken einer Einbeziehung der ganzen Familie, der zeitlichen Befristung der Hilfe und der Rückführung genannt – alles Ideen, die im alten JWG keinen Raum hatten.


Unter den vielen Einrichtungen und Diensten im Jugendhilfebereich, die sich seit Anfang der 90er Jahre auf den Weg zu einer systemischen Ausrichtung begaben und die seit 2013 auch mit dem DGSF-Siegel ausgezeichnet wurden, sticht „Flientje“ durch die Entwicklung des speziellen eigenen 3-Phasen-Konzeptes hervor. Es steht für konsequente Auftragsorientierung von Anfang an sowie für durchgängige Partizipation und Einbeziehung der Perspektiven und Bedürfnisse aller Beteiligten. Durch das Konzept der Gesprächskreise werden sowohl Lösungsorientierung, als auch Synergieeffekte zwischen verschiedenen Personen und Gruppen ermöglicht. Auch damit steht „flientje“ modellhaft für die Realisierung systemischer Arbeitsweisen im Kontext der  Kinder- und Jugendhilfe.


Wir wünschen allen Beteiligten weiterhin eine erfolgreiche und gelingende Arbeit zum Wohle der Zielgruppen und bei gleichzeitigem Wohlergehen aller Mitarbeitenden. Wir sind überzeugt, dass die systemische Ausrichtung von Kinder- und Jugendhilfe-Einrichtungen dazu viel beitragen kann und freuen uns, „Flientje“ in den Reihen der DGSF-empfohlenen Einrichtungen zu haben.


Für den DGSF Vorstand

Matthias Richter




Von Steve de Shazer zum „flientje“

Nachdem Silvia und Tido Cammenga Steve de Shazer mit seinem Ansatz „solution
focused brief therapie“ kennen- und schätzengelernt hatten, entstand die Vision eine
durch und durch lösungsfokussierte Jugendhilfeeinrichtung aufzubauen.

Im Jahre 1992 haben wir begonnen, das erste ganzheitlich lösungsfokussierte
Konzept in der Jugendhilfe in Deutschland zu schreiben. Wir haben dies „flientje“
genannt. „Flientje“ ist ein friesisches Wort für Schmetterling und symbolisiert den
Kreislauf vom Ei über die Raupe zum Schmetterling. Einem Falter muss man
behutsam begegnen. Dies ist für uns ein weiteres tolles Bild für unsere Arbeit,
insbesondere in Haltung und Sprache. Im Kontext unserer bisherigen Erfahrungen
wollten wir Kindern, Jugendlichen und Eltern ermöglichen, miteinander so zu
arbeiten, dass eine Rückkehr des Kindes in das Elternhaus (sofern irgendwie
möglich) fester Bestandteil der Arbeit ist. 1994 haben wir unsere Arbeit mit der
„Familientherapeutischen Einrichtung flientje – lösungfokussiert den Weg finden“
nach der Fertigstellung unseres neuen Gebäudes aufgenommen. Wir haben von
Beginn an neben der Umgebungsgestaltung - Pädagogik, Beratung und Therapie zu
einem Handlungsansatz verschmolzen. Vor 20 Jahren haben wir auch die
Organisationsstruktur hier mit einbezogen.

Von Beginn an war unser Ziel daher mit Familiensystemen zu arbeiten und Familien
zu befähigen, sich Lösungen für Herausforderungen mit uns zu erschließen.
Entstanden ist ein Konzept das großen Wert auf gelebte Partizipation legt, vor allem
auch an der Stelle, die entscheidend ist für die bestmögliche Kooperation, nämlich
die Freiwilligkeit zur Nutzung der Maßnahme. Dies geht dann, wenn es gelingt, aus
Problembeschreibungen (so zügig wie möglich) in innere Bilder von einer
erwünschten Zukunft mit konkret benannten Beispielen aus der Gegenwart und
Vergangenheit einzusteigen.


Mit der Entwicklung eines ganz besonderen Aufnahmeverfahrens, unserem EZG
(Entwicklungs-Ziel-Gespräche) werden alle Beteiligten mit der Wucht des Problems
zunächst sehr ernst genommen und dann begleitet, die Maßnahme als eine
Möglichkeit der Wegfindung schätzen zu lernen, die einerseits Entlastung und Kraft
für einen Neustart darstellt und andererseits der Ort des Arbeitens ist, um
handlungskonkret an den eigenen Themen zu arbeiten. Das bedeutet auch,
erweiterte oder neue Beschreibungen zu eigenen Standpunkten und
Wirklichkeitserfassungen für sich zu erkunden und handlungskonkret eigene Ziele für
sich zu benennen sowie dann in konkrete kleine Handlungsschritte einzutauchen,
was genau der eigene kleine Beitrag zur Veränderung sein kann.

Wir unterscheiden in diesem Kontext Wünsche untereinander von eigenen Zielen.
Hier liegt ein Clearinganteil, den wir in der „Verfahrensweise“ des EZG installiert
haben. Über einen bestimmten Prozess des Tuns nehmen die Beteiligten auf Karten
geschriebene Wünsche auf und erörtern, was das Gegenüber damit meint und aus
welchem guten Grund sie ggf. bereit sind, diesen Wunsch an sich selbst auch zum
Ziel für sich selbst zu machen. Sie zählen selber den Kosten und Nutzenvergleich
begleitet von Fragen auf und hängen die Karte in der „Verfahrensweise“ (große
Platte) vom Wunsch zum Ziel um. Kombiniert werden somit Sprache und
Visualisierung mit Handlung, Selbstreflexion, Vision, Ganzkörpererfahrung und der
Start der Neukonstruktion von Wirklichkeitserfassungen. Die Aufgabe der Einrichtung
ist von Beginn an, die Prozessverantwortung zu tragen. Das heißt, den Fokus darauf
zu haben, was unser Gegenüber will, wie dies bei mehreren Personen aus der Sicht
der Beteiligten schon zusammenpasst, stets interessiert weiter nachzufragen
(Haltung des Nichtwissens), das Thema hinter dem Thema mit den Beteiligten zu
erkunden und alle im Raum stehenden Zielbeschreibungen zu unterstützen auf
Karten zu schreiben (oder zu malen – z-B. bei Kleinkindern).
Zur Prozessverantwortung zählt es auch, Problemsprache stets in Lösungssprache
umzuformulieren und ggf. immer wieder nachzufragen, in welchem Raum sich die
Beteiligten befinden: Lösungsraum, Lösungsmuster oder Problemraum,
Problemmuster und was sie gerade wollen und brauchen. Einer der zentralen
Schwerpunkte ist zwar die Arbeit mit den Kindern und Jugendlichen und gleichzeitig
ist es genauso wichtig, die Eltern (u. ggf. andere Familienmitglieder) mit ins Boot zu
holen und auch mit ihnen Ziele, beste Hoffnungen und eigene kleine Beiträge zum
Erfolg zu erarbeiten. Dazu gehört es dann auch, dass das Kind/der Jugendliche
Wünsche an die Eltern richten kann und die Bereiche Erziehungsebene, persönliche
Ebene (Gesundheit,… Mutter/Vater), Paarebene und weitere für die Familie
relevanten Themen bereits bei der Aufnahme mit in den Fokus kommen und auch
hier Wünsche und Ziele erarbeitet werden können.

In dieser Logik ist es konsequent, diese Gespräche (wann immer es geht) im Vorfeld
einer Maßnahme zu machen. Es entsteht so die zu diesem Zeitpunkt bestmöglich zu
erarbeitende Freiwilligkeit und Klarheit. In der Regel sind dies 3 bis 4 Treffen. Auch
wenn der Druck in den Familien manchmal sehr hoch ist (vermutete
Kindswohlgefährdung, psychische Erkrankung eines Elternteils, Gerichtsauflagen,
Inhaftierung eines Elternteils, Tod eines Elternteils, Schulverweigerung,
selbstverletzendes Verhalten des Kindes, Ende eines Psychiatrieaufenthaltes…) hat
es sich herausgestellt, dass sauberes Arbeiten an dieser Stelle viel zum späteren
Erfolg und der tatsächlich inhaltlichen Nutzung beiträgt. Wir bieten diesen Teil daher
im Vorfeld kostenlos an. Wir freuen uns, wenn es dann zur Aufnahme kommt, das
muss es aber nicht (vgl. Cammenga, T. (2016), 151 ff.).

Mit unserem Entwicklungs-Standort-Gespräch (ESG) haben wir für die
Hilfeplangespräche eine zweite Verfahrensweise entwickelt, in der Kinder,
Jugendliche und Eltern unter anderem ihre Arbeitserfolge und Arbeitsergebnisse mit
einem Kartensystem selber vorstellen. Das Ziel ist es, eigene noch eckige Karten
rund zu machen. Jede Abrundung wird damit nachfragend begleitet, was genau
anders ist und wie genau dies in der Praxis umgesetzt wird. Es ist sehr
beeindruckend zu sehen, wie ein Kindergartenkind anhand von Bildern eigene
Erfolge darstellt, eine Jugendliche über konkrete Schritte der Stressregulation oder
über Selbstregulationsübungen (bei Trauma) und der genauen Anwendung spricht
und Eltern auf der Erziehungsebene darstellen, was genau sie bisher geschafft
haben auszubauen.

Der Logik der Kurzzeittherapie folgend, haben wir das Angebot flientje daher immer
schon zeitlich begrenzt in Orientierung an der Zielerreichung der Familienmitglieder
ausgerichtet. Die Eltern, Kinder und Jugendlichen entscheiden zusammen mit den
Jugendämtern (und uns), wann eine Maßnahme startet und wann diese endet.

Beim Start vor nun über 30 Jahren hat das Landesjugendamt uns mitgeteilt, dass
diese Ideen revolutionierend sind, aber wir nicht traurig sein sollten, wenn dies so
nicht gehen sollte. „Ich befürchte, dass bei so viel Selbstentscheidung die Kinder zu
schnell wieder weg sind und ihr unter einem ständigen Belegungsdruck steht.“, so
eine der Aussagen damals. Auch dies haben wir sehr ernst genommen.
Lösungsfokussiert bedeutet eben auch die totale Akzeptanz von dem, was unser
Gegenüber sagt und so haben wir miteinander überlegt, was es braucht, damit alles
gut funktionieren wird.
Ressourcenkarten zum Sammeln von Stärken und Gelingendem (grundsätzlich und speziell für einzelne Herausforderungen), flientje, Aurich, 1998
Silvia und Tido Cammenga am Ende der Rede einer ehemaligen Mutter
Wir konnten eine Vielzahl weiterer Methoden und Verfahrensweisen entwickeln, die
das Arbeiten deutlich erleichtern und effizienter machen: Konfliktmanagement und
Konfliktbearbeitung – nach unserem LUST-Modell, unsere Prozess- und
Tischvorlagen - LPT, das elterliche Gesundheitsförderungskonzept – ESG G, unser
ambulantes Clearingkonzept - EZG C aber auch kleinere Dinge, wie unsere sehr
beliebten Ressourcenkarten).

Heute können wir sagen, dass sich der Einsatz gelohnt hat und wir dankbar auf die
zurückliegenden Jahre und die vielen Menschen, die mit uns diesen Weg gegangen
sind, blicken.

Eine unserer Entscheidungen war es auch, als Einrichtung in der bestehenden
Größe zu bleiben. Wir haben mit unserem Institut ( Diese E-Mail-Adresse ist gegen Spambots geschützt! JavaScript muss aktiviert werden, damit sie angezeigt werden kann. ) eine
Plattform geschaffen, unsere Entwicklungen und Erfahrungen zu teilen.


Magie erleben – Wunder erfahren


Unsere Feierlichkeiten zum 30-jährigen Bestehen standen unter dem Motto „Magie
erleben – Wunder erfahren“.

Uns war es wichtig, nicht nur ein Bühnenprogramm aufzubauen, bei dem gestaunt,
gedacht und gezaubert wird, sondern wir haben auf dem ganzen Gelände und im
Haus viele kleine Stationen aufgebaut, wo ansprechende Spiele und Animationen
das Thema „Magie erleben“ und „Wunder erfahren“ aufgenommen haben. Es gab
daher viel mitzunehmen, zu staunen und wohlwollend über sich und andere
nachzudenken. Überall waren kleine Inseln zum gemeinsamen Reden, Austauschen,
Spielen und kulinarischem Verwöhnen. Die Zauberaktionen der Kinder und
Jugendlichen vom flientje und aus den Reihen des Publikums haben zum
persönlichen Flair der Show sehr beigetragen.
Was die Gäste mitnehmen konnten
Für uns war es sehr schön, dass neben unserem Team und unserer Familie so viele
ehemalige und aktuelle Kinder, Jugendliche, Eltern, Kolleginnen und Kollegen aus
Pädagogik, Beratung, Therapie und Medizin vor Ort waren und wir haben uns auch
sehr über die vielen Briefe, Glückwünsche, Videobotschaften und Begegnungen
gefreut.
Das Festzelt im hinteren Teil des Gartens
Anregungen zum Mitnehmen auch bei extra entwickelten Spielen.
Besonders erwähnen möchte wir auch die Grußworte der DGSF, SG, BAG LOA, der
ZLB´s und vom NIK Bremen, die wir gerne vorgetragen haben und die sehr
ergreifende Rede einer ehemaligen Mutter.

Beeindruckend waren für uns auch die spontan sich entwickelnden Aktionen, wie die
Rede eines ehemaligen Jugendlichen und die vielen Kurzbeiträge im Rahmen des
ZDF-Angebotes „Zeige Deine Fähigkeiten“.

Wir sagen voller Demut danke für die vielen Menschen, die diesen Tag mit uns
gestaltet und mit ihrer Anwesenheit geehrt haben. Besonders gerührt haben uns die
Rückmeldungen vieler ehemaliger Familien: „Macht weiter so.“ „Es ist toll, dass es
euch gibt.“ „Wir sind dankbar, eine Zeit lang Teil der „flientje-Gemeinschaft gewesen
zu sein.“

Literatur

Born-Kaulbach, Christiane; Cammenga, Tido; Welter, Joachim (2016): Wunderbare
Wandlungen zur Selbstwirksamkeit. Dortmund: verlag modernes lernen